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Eine Reise / Metapher als Ding

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Buch und Bücherei

Ex-Lieblingssatz

„I thought maybe I would swing by Madeleine’s house and see if his car was out front. It was either this or begin a career as something other than a writer. If I thought of another career before I got to the house, I would turn around and pursue that. I made the car go slowly so that everyone could see it was thinking. It was considering careers for me.“ (aus: Miranda July: Making Love in 2003. In: No one belongs here more than you.)

Kurz mochte ich diese Stelle und vor allem den kursiv hervorgehobenen Satz und July grundsätzlich, aber dann kamen sie und ihr Satz und ihre Geschichten und vor allem „The Future“ mir wie eine grazile Spieldosenfigur vor, die sich immerzu dreht, nicht schnell, sondern so bedächtig, dass jeder hinsieht und sich aufgefordert fühlt, die Ausdauer und beharrliche Langsamkeit zu betonen. Die Spieldosenfigur steht in etravaganter Pose und wirft gelegentlich Stinkbomben, nebenbei und haarscharf an den Zielen vorbei, die man für Stinkbomben im Sinn haben könnte. Deshalb wird ihr nicht Bösartigkeit, sondern Einmaligkeit, Einzigartigkeit diagnostiziert. Sie dreht sich in einem Zimmer, das von einer leichten Staubschicht überzogen ist. Kurz wollte ich dort sein, aber dann kamen mir die Kroaten in den Weg, und ich lernte bei Dubravka Ugrešić, dass in der kroatischen Sprache, vielmehr zuvor in der jugoslawischen/serbokroatischen, die Kinder wie abgeschlachtet schlafen, wohingegen sie für uns und in etlichen anderen Sprachen wie Engel schlafen.

Bei Edo Popović fand ich den nächsten, mir lieberen Lieblingssatz: „Zwei Probleme, die normalerweise darauf scheißen, was ich sage, gingen an mir vorbei und glotzten sich verliebt an.“ (Edo Popovic: Die Rampe oder jemand anderes. In: Mitternachtsboogie), und July war dann völlig entzaubert, und ich wie aus einer Verliebtheit gefallen oder aus einem Missverständnis. Aus der Inszenierung des Lebens zurück ins Leben.

Buch und Bücherei

Literaturfrauenfragen

„Will the literary habits of a culture change as younger readers take over? Will more literary women be able to persuade their publishers to keep that photo of a longhaired young girl in a summer dress facing shyly away from the camera off their book jackets and replace it with a neutral illustration and bold typeface? Will VIDA’s statistics dramatically improve? And will “Women’s Fiction” become such an absurd category it’s phased out entirely?“

 

aus:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und im Briefkasten vor ein paar Tagen der Briefwechsel von Hannah Arendt und Mary McCarthy: „Im Vertrauen“.  Eine Textorte und zwei Namen, denen der Verlag 1995 wohl wenig vertraute und folglich eine überdeutliche Loipe zur Zielgruppe spuren wollte und deshalb folgende Information auf dem Cover verabreichte: „Zwei ‚femmes de lettres‘, die leidenschaftlich denken und leidenschaftlich leben.“

 

 

 

 

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114+0

K sagt, man müsse jetzt mal den lieben Gott anrufen, damit er die Straßenbahn aufhalten kann, der wir vergeblich den Weg abschneiden wollten.

Ich sage: Ich weiß nicht, ob er sich damit beschäftigen will.

K: Du rufst an. Die Nummer ist 114+0.

H: 114 plus 0

K: Hallo.

H: Hallo, Gott. Die Straßenbahn ist zu schnell weggefahren.

K: Ich habe leider gerade keine Zeit. Ich esse mein Mittagessen.

H: Oh, so früh schon.

K: Nein, ich esse Frühstück.

H: Was gibt es denn?

K: Lasagne.

H: Zum Frühstück?

K: Ja. Willst du auch ein Stück?

H: Jetzt, na ja, ich kann es ja mit nach Hause nehmen.

K: Ich werfe es dir runter. So, jetzt hast du es.

H: Danke.

 

Und denken an Sandra in München, wie wir im U-Bahnhof Odeonsplatz standen und betrunken waren und genau genommen vollkommen erschöpft vom Damaligen und mal so taten, als ob, als ob es möglich wäre, mit Gott zu telefonieren, sonst fiel uns niemand ein. Ich tippte die Nummer, wir warfen kein Geld in das Münztelefon und Sandra sprach in den Hörer. Ich hörte ihr zu und hatte die Hoffnung auf Besserung und auf ein albernes, unerwartetes, aber uns sofort pflegendes Wunder, eine kleine Änderung, aber ich sah dann nur noch die lustige Trunkenheit und das Profane und die tolle Freundin, die sich angeregt unterhielt und wie eine gelehrige, aber nicht zu disziplinierte Schülerin lauschte. Dazu im Hintergrund klassische Musik, ja nicht zum Spaß, sondern um die Junkies zu vertreiben, und eines Tages, andere Geschichte, oder gar keine Geschichte, nur dies: klassische Musik aus den Gullis vor der Staatsoper am Max-Joseph-Platz.

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Pferdeflug

Und am Himmel wie ein Wunder oder wie ein Gruß oder wie ein Gedanke oder wie etwas Vermisstes oder Verpasstes etc.

am Himmel ein Pferd, das treibt dahin wie der Hund, der riesige tote weiße Hund, den ich mal im Wehr sah, der schön war, bis das Unheimliche, das Gestorbensein, zu überwiegen begann. Am Himmel dieses Pferd, das ich kurz für ein echtes halte, dem es gelungen sein könnte zu fliegen, nun einfach davon zu fliegen mit dem derzeit starken Wind und vollkommen angstfrei zu fliegen. Am Himmel ein Ballon, natürlich, das ist schnell klar, aber dazu die Möglichkeit für alles.

Pferd

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Was Maxi Zeitschriftchen fragt

A steht mit F-Baby auf dem Arm vor meinem Schreibtisch und sagt, man solle sich, wenn man Kinder wolle, folgende Frage stellen: Sind Sie bereit, auf Erfolg und Karriere zu verzichten. Nein, rufe ich. Nein, was ist denn das für eine Frage.

Dann lesen wir später alles.

Sind Sie bereit für ein Kind?

Wenn Sie mehr als sechs dieser Fragen mit Ja beantworten, könnten Sie die Familienplanung angehen.

Könnten Sie sich vorstellen, dauerhaft mit Ihrem Partner zusammenzubleiben? Ja

Will er grundsätzlich auch Kinder mit Ihnen? Ja

Stellen Sie sich die Schwangerschaft als glückliche Phase in Ihrem Leben vor? Nein (Schwer zu beantworten. Nicht glücklicher oder unglücklicher als sonst. Nicht explizit glücklich.)

Haben Sie das Gefühl, zurzeit besonders viele Schwangere zu sehen? Nein

Ist es für Sie vorstellbar, Ihre Karriere aufzugeben und mit weniger Geld auszukommen? Nein (Es ist nicht vorstellbar, nicht zu arbeiten, und es ist nicht möglich, mit weniger Geld auszukommen.)

Glauben Sie, Sie können die Verantwortung für ein Kind übernehmen? Ja (wider Erwarten ist das möglich)

Bleiben Sie ruhig und gelassen, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert? Nein

Können Sie mühelos auf Partys, Kinoabende, Clubtouren verzichten? Nein

Könnten Sie einem Kind ein geregeltes Leben bieten? Jein

Fragen Sie sich manchmal, was ein gemeinssames Kind von Ihnen und Ihrem Freund erben würde (Charakter, Aussehen, etc.)? Nein

–> 3 Ja, 1 Jein (und der Kinder zwei).

Und die Frage, wer sich immer wieder solche Fragen ausdenkt oder gar nicht ausdenkt, sondern zusammenmontiert.

(Leserbrief an die Content-Maschine: Liebe Content-Maschine, es bedarf einer neuen Programmierung. Du musst Dich erst in der Welt umsehen, bevor Du Seiten mit Content und Sätze mit Fragezeichen bestücken darfst.)

Und die Frage, warum Melanie Mühl in der Faz nach neuen Müttern Ausschau hält. Und die Antwort von Huxley: „Wie ich in einem früheren Kapitel gezeigt habe, hängt die Fähigkeit, etwas zu erkennen, von der Anzahl, der Art und der Verfügbarkeit früherer Erfahrungen ab. Frühere Erfahrungen sind uns aber nur über die Erinnerung zugänglich. Deshalb kann man mit Recht behaupten, die Fähigkeit, einen Gegenstand als solchen zu erkennen, sei an das Gedächtnis gebunden.

Eng mit dem Gedächtnis hängt die Vorstellungskraft zusammen, jene Fähigkeit, Erinerungen neu zu kombinieren und neue geistige Bilder zu schaffen, die sich von allem früher Erlebten unterscheiden. Die Fähigkeit, sensa zu interpretieren, wird sowohl durch das Gedächtnis als auch durch die Vorstellungskraft beeinflußt.

Wie sehr das Wahrnehmungsvermögen und das Sehen von Gedächtnis und Vorstellungskraft abhängig sind, lehrt uns die tägliche Erfahrung. Dinge, die uns gut vertraut sind, sehen wir besser als solche, an die wir keinerlei Erinnerung besitzen.“ (Aldous Huxley: Die Kunst des Sehens. München: Piper 2010. S. 106)

Das war vermutlich noch nicht explizit genug, wenngleich ich denke, es ist explizit genug, aber es ist die ewige Frage: Wie explizit ist explizit? Dazu später mehr.

 

Buch und Bücherei

Lieblingssatz

„Ist schon komisch, was die Leute nicht kaufen wollen.“

Aus: Der letzte Samurai. Von Helen DeWitt. Karl Blessing Verlag. 2001. S. 495

Der Satz wird gesagt von Kenzo Yamamoto, im Buch ein Pianist, ein Wunderkind: „Jetzt war er älter, und seit zwei Jahren war er eigentlich nur noch berüchtigt.“ (S. 151) Er hatte schon früh Konzerte in großen Häusern gegeben, war dann, auf der Suche nach dem Wesen der Percussion, in den Tschad gereist. Nach der Rückkehr gab er ein Konzert in der Wigmore Hall, das für das zahlreich erschienene Publikum zur Überraschung wurde. Yamamoto spielte „nach jeder der sechs Mazurkas seines Chopin-Vortrags ungefähr 20 Minuten lang Trommelmusik […]. Dann folgte der Rest des angekündigten Programms […] mit dem Ergebnis, dass das Konzert morgens um 2:30 endete & Leute ihre Bahnen verpassten & unzufrieden waren.“ (S. 152)

Später gibt Yamamoto ein Konzert in der Royal Festival Hall, zu dem Yamamoto im Vorfeld befragt wird.

„ST: Aber Sie haben der Royal Festival Hall versprochen, dass diesmal keiner seinen Zug verpassen wird.

Yamamoto: Keiner wird um zwei Uhr morgens zu Fuß durch die Londoner Straßen gehen.

ST: War das schwer für Sie?

Yamamoto: Ich habe ein gutes Gefühl dabei.“ (S. 164)

Tatsächlich wird niemand seinen Zug verpassen, aber mehr will ich nicht schreiben dazu, denn dann müsste ich abtippen, abtippen und vorwegnehmen, und tatsächlich tippte ich gern das ganze Buch ab, einfach so, aber dann käme ich mit den anderen Dingen keinen Deut weiter. Zudem sollte man es in den Händen halten und dazu auch DeWitts aktuelles Buch Lightning Rods (Interview).

Jedenfalls: Es ist schon seltsam, was die Leute alles nicht kaufen.

Man kann sich wundern, und insistieren, an DeWitt denken und insistieren, an Yamamoto denken und insistieren, an Kaufman denken und insistieren.

 

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Die Katze geht schon lange durch den Schnee

ABC/Ein Lieblingsstück

Buch und Bücherei

Helen DeWitt und Ed, alle und Ed, vielmehr: alle ohne.

In autumn 2007, I think, Ed Park asked whether I would like to write something for The Believer about statistics. We talked back and forth and a film issue was in the works and I volunteered to write about Sergio Leone, having once spent 7 years on a book about a character obsessed with Leone. The piece was harder than envisaged, and my father was dying, and I proposed to Ed a different piece on the Realpolitik of the film industry. I sent the piece in, Ed liked it, had worries about word count, made suggestions, I revised, he rethought, the final piece was close to the submitted piece but better. Ed’s first child, Duncan, had recently been born; he was fielding this among sleepless nights; remained helpful, charming, intelligent throughout. Wow. Wow. Wow. Pre-Ed I’d assumed there was no point trying to publish ANYTHING, EVER, because all editors were short-cuts to the cuckoo house. Post-Ed I misguidedly allowed many editors to see new work, under the impression that other Eds might be out there. Sadly, I think there’s only one Ed. Ed, Ed, Ed, Ed, Ed, why don’t they give YOU the top job at HarperCollins/Bertelsmann/Bla? We live in hope.

aus: whitelist in Helen DeWitts Blog

 

Buch und Bücherei

Randbemerkungen

 

Marginalia

Sometimes the notes are ferocious,
skirmishes against the author
raging along the borders of every page
in tiny black script.
If I could just get my hands on you,
Kierkegaard, or Conor Cruise O’Brien,
they seem to say,
I would bolt the door and beat some logic into your head.

Other comments are more offhand, dismissive –
„Nonsense.“ „Please!“ „HA!!“ –
that kind of thing.
I remember once looking up from my reading,
my thumb as a bookmark,
trying to imagine what the person must look like
why wrote „Don’t be a ninny“
alongside a paragraph in The Life of Emily Dickinson.

Students are more modest
needing to leave only their splayed footprints
along the shore of the page.
One scrawls „Metaphor“ next to a stanza of Eliot’s.
Another notes the presence of „Irony“
fifty times outside the paragraphs of A Modest Proposal.

Or they are fans who cheer from the empty bleachers,
Hands cupped around their mouths.
„Absolutely,“ they shout
to Duns Scotus and James Baldwin.
„Yes.“ „Bull’s-eye.“ „My man!“
Check marks, asterisks, and exclamation points
rain down along the sidelines.

And if you have managed to graduate from college
without ever having written „Man vs. Nature“
in a margin, perhaps now
is the time to take one step forward.

We have all seized the white perimeter as our own
and reached for a pen if only to show
we did not just laze in an armchair turning pages;
we pressed a thought into the wayside,
planted an impression along the verge.

Even Irish monks in their cold scriptoria
jotted along the borders of the Gospels
brief asides about the pains of copying,
a bird signing near their window,
or the sunlight that illuminated their page-
anonymous men catching a ride into the future
on a vessel more lasting than themselves.

And you have not read Joshua Reynolds,
they say, until you have read him
enwreathed with Blake’s furious scribbling.

Yet the one I think of most often,
the one that dangles from me like a locket,
was written in the copy of Catcher in the Rye
I borrowed from the local library
one slow, hot summer.
I was just beginning high school then,
reading books on a davenport in my parents‘ living room,
and I cannot tell you
how vastly my loneliness was deepened,
how poignant and amplified the world before me seemed,
when I found on one page

A few greasy looking smears
and next to them, written in soft pencil-
by a beautiful girl, I could tell,
whom I would never meet-
„Pardon the egg salad stains, but I’m in love.“

Billy Collins